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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.09.2006
Aktenzeichen: 10 WF 148/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB
Vorschriften:
ZPO § 127 Abs. 2 S. 2 | |
BGB § 242 |
Tenor:
I. Das Verfahren wird von dem Einzelrichter auf den Senat übertragen (§ 568 Satz 2 ZPO).
II. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 26.06.2006 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Recklinghausen vom 02.06.2006 abgeändert:
Dem Kläger wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T in C zu den Bedingungen eines beim Amtsgericht in Recklinghausen ansässigen Anwaltes für folgende Anträge bewilligt:
1.
Die Zwangsvollstreckung der Beklagten zu 1) aus dem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichtes Recklinghausen vom 20.01.2000, Az. 43 FH 30/99, wird für unzulässig erklärt, soweit Unterhaltsrückstände gegen den Kläger für die Zeit vom 01.12.1999 bis 31.07.2003 in Höhe von 4.970,96 € geltend gemacht werden.
2.
Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, dem Kläger die vollstreckbare Teilausfertigung zum Unterhaltsbeschluss des Amtsgerichtes Recklinghausen vom 20.01.2000, Az. 43 FH 30/99, ausgefertigt in Höhe von 4.970,96 € am 22.04.2005, herauszugeben.
3.
Die Zwangsvollstreckung der Beklagten zu 2) (das ist das minderjährige Kind H F, geb. xxx, vertreten durch die Kindesmutter, Frau B P, geb. F, F-Straße, ####1 F) aus dem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichtes Recklinghausen vom 20.01.2000, Az. 43 FH 30/99, wird für unzulässig erklärt, soweit Unterhaltsrückstände gegen den Kläger für die Zeit vor dem 01.12.2004 geltend gemacht werden.
4.
Die Vollstreckung aus der vollstreckbaren Teilausfertigung des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses vom 20.01.2000 des Amtsgerichts Recklinghausen, dem Kläger am 01.03.2000 zugestellt, in Höhe eines Betrages von 4.970,96 €, wird bis zur Rechtskraft des Urteils in der Hauptsache einstweilen eingestellt.
Gründe:
A)
Der Kläger ist der nichteheliche Vater der am xxx geborenen Beklagten zu 2). Diese erwirkte, vertreten durch das Jugendamt der Stadt I als Beistand, unter dem 20.01.2000 gegen ihn einen Unterhaltsfestsetzungsbeschluss. Zahlungen hierauf leistete der Kläger nicht. Die Beklagte zu 1) leistete in der Zeit vom 01.12.1999 bis 31.07.2003 Leistungen nach dem UVG an die Beklagte zu 2) in Höhe von 4.970,96 €.
Der Kläger verbüßte bis 13.09.2002 eine Freiheitsstrafe. Nachfolgend übte er zeitweise Erwerbstätigkeiten aus.
Ab dem 17.07.2004 lebte er mit der Beklagten zu 2) und ihrer Mutter zusammen, bis sich die Kindeseltern Ende November 2004 erneut im Streit trennten.
Im Februar 2005 beantragte die Beklagte zu 1) eine vollstreckbare Teilausfertigung des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses, die am 22.04.2005 erteilt worden ist.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 05.04.2005 forderte die Beklagte zu 2), vertreten durch ihre Mutter, den Beklagten zur Auskunftserteilung über sein Einkommen und zur Zahlung von Kindesunterhalt ab sofort auf.
Beide Beklagten sind der Auffassung, sie könnten nach wie vor wegen Rückständen vor dem 01.12.2004 aus dem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss vollstrecken.
Der Kläger begehrt im Wege der Vollstreckungsgegenklage die Erklärung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss, soweit sie die Zeit vor Dezember 2004 betrifft.
Er ist der Auffassung, Unterhaltsansprüche seien verwirkt, weil die Beklagte zu 2) den titulierten Unterhalt über Jahre nicht geltend gemacht hätten. Für die Zeit des Zusammenlebens in 2004 seien Unterhaltsansprüche durch anderweitige Unterhaltsgewährung, nämlich Naturalunterhalt, erfüllt. Des weiteren habe die Kindesmutter bereits bei der Erwirkung des Unterhaltsfestsetzungsbescheides gewusst, dass er in Haft und damit leistungsunfähig gewesen sei.
Die Beklagten vertreten die Auffassung, ein Verwirkungstatbestand sei nicht gegeben. Die Beklagte zu 1) behauptet dazu, sie habe den Kläger im Februar 2004 zur Zahlung aufgefordert.
Das Amtsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers zurückgewiesen. Es hat zur Begründung -unter Bezugnahme auf den Vorwurf der Erwirkung des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses in Erkenntnis der Inhaftierung - ausgeführt, es sei fraglich, ob etwaiges Fehlverhalten der Kindesmutter der Beklagten zu 2) zuzurechnen sei. Im übrigen fehle es an einem subjektiven Moment.
Hiergegen wehrt sich der Kläger mit der sofortigen Beschwerde.
B)
Die sofortige Beschwerde des Klägers ist nach § 127 II 2 ZPO zulässig.
Sie hat in dem Umfang der Beschwerde auch Erfolg.
I. Unterhaltsansprüche der Beklagten zu 2) Unterhaltsansprüche der Beklagten zu 2) sind, soweit sie den Zeitraum vor dem 01.12.2004 betreffen, zum Teil erloschen und im übrigen verwirkt.
1. Zeitraum vom 17.07.2004 bis 30.11.2004
Soweit es vorliegend um Unterhaltsansprüche für die Zeit vom 17.07.2004 bis 30.11.2004 geht, in welcher der Kläger mit der Beklagten zu 2) und ihrer Mutter zusammenlebte, sind die Unterhaltsansprüche erloschen.
Leben die unterhaltspflichtigen Kindeseltern mit dem Kind in einem Haushalt, ist im Zweifel anzunehmen, dass der Unterhaltsanspruch des Kindes, der sich gegen beide Eltern richtet, in Natur geleistet wird (Wendl/Staudigl-Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 3, Rz. 10)
Dass hier eine anderweitige Bestimmung getroffen wurde, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
2. Zeit vor dem 17.07.2004 Ansprüche auf rückständigen Unterhalt für die Zeit vor dem 17.07.2004 sind wegen langjähriger Nichtgeltendmachung verwirkt, § 242 BGB.
a)
Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens. Sie setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre (sog. Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (sog. Umstandsmoment; BGHZ 146, 217, 220). Insofern gilt für Unterhaltsrückstände nichts anderes als für andere in der Vergangenheit fällig gewordene Ansprüche (BGH FamRZ 2002, 1698).
Dabei dürfen bei Unterhaltsansprüchen an das Zeitmoment der Verwirkung keine strengen Anforderungen gestellt werden. Von einem Unterhaltsgläubiger muss eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Anderenfalls können Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Diese Erwägungen treffen auch auf titulierte Unterhaltsansprüche zu, die, wie im vorliegenden Fall, erst nach ihrer Titulierung fällig geworden sind. Entscheidend ist der Schuldnerschutz. Von einem Unterhaltsgläubiger, dessen Ansprüche bereits vor ihrer Fälligkeit tituliert sind, kann mindestens ebenso wie von einem Berechtigten, der über keinen Titel verfügt, erwartet werden, dass er seine Ansprüche zeitnah durchsetzt. In beiden Fällen können ansonsten Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Der Schuldnerschutz verdient es somit auch im Falle der Titulierung künftig fällig werdender Unterhaltsforderungen besonders beachtet zu werden, weshalb auch in diesen Fällen das Zeitmoment bereits nach dem Verstreichenlassen einer Frist von etwas mehr als einem Jahr als erfüllt anzusehen sein kann (BGH FamRZ 2004, 531).
b)
Vorliegend hat die Beklagte zu 2) nach der Erwirkung des Titels über mehrere Jahre keine Vollstreckungsversuche unternommen. Dies war bis zum Ende der Haft des Klägers als offensichtlich aussichtslos nachvollziehbar. Er ist aber bereits im September 2002 aus der Haft entlassen worden und stand zumindest zwischenzeitlich in Arbeit. Vollstreckungsversuche waren nun nicht mehr ohne jede Aussicht. Einen Grund für die weitergehende Abstandnahme ist bislang nicht benannt. Keine der Beklagten behauptet, dass eine frühzeitigere Geltendmachung nicht möglich gewesen wäre, insbesondere dass der Kläger unbekannten Aufenthalts gewesen wäre.
Erst Anfang April 2005 fordert die Beklagte überhaupt wieder zur Zahlung von Barunterhalt auf, dies auch nur hinsichtlich laufendem Unterhalt. Dabei fällt auf, dass ihr, wie dem Kläger selbst wohl auch, die Existenz des Unterhaltstitels offensichtlich gar nicht mehr geläufig war. Dies ergibt sich aus dem Schreiben vom 05.04.2005.
Rückständigen Unterhalt für die Zeit bis 16.07.2004 hat die Beklagte zu 2) nach der Titulierung - soweit ersichtlich - bis heute nicht aktiv eingefordert. Erst im Rahmen des im April 2006 eingeleiteten vorliegenden Verfahrens hat sie durch ihren Klageabweisungsantrag zum Ausdruck gebracht, die für sie titulierten Unterhaltsrückstände nach wie vor beanspruchen zu wollen.
Der Kläger musste aber - nachdem er und die Kindesmutter die Wiederaufnahme des familiären Zusammenlebens versucht hatten, diese gescheitert war und erst Monate später überhaupt nur laufender Unterhalt beansprucht wurde - spätestens Anfang August 2005 nicht mehr mit einer Geltendmachung von rückständigem Unterhalt für die Zeit bis 16.07.2004 rechnen. Daran ändert nichts, dass er seine Vollstreckungsgegenklage auch gegen die Beklagte zu 2) gerichtet hat.
Es ist ohne weiteres anzunehmen, dass sich der als Arbeiter beschäftigte Kläger auf die Nichtinanspruchnahme eingestellt und nach der Lebenserfahrung seine finanziellen Mittel für den Lebensunterhalt verbraucht hat.
II. Unterhaltsansprüche der Beklagten zu 1)
Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für die Beklagte zu 1).
Ihre Behauptung, sie habe bereits im Februar 2004 den Beklagten zur Zahlung aufgefordert, ist bestritten und nicht näher dargelegt, geschweige denn unter Beweis gestellt. Damit kann eine erstmalige Bemühung der Beklagten zu 1) um Realisierung der Forderung jedenfalls für das Prozesskostenhilfeverfahren erst im Februar 2005 festgestellt werden. Diese wurde für den Kläger erst mit seiner Beteiligung im Verfahren der Teilausfertigung Ende Mai 2005 erkennbar.
Zwar kann der Unterhaltspflichtige bei einem Träger öffentlicher Leistungen, der Unterhaltsansprüche aus übergegangenem Recht geltend macht, infolge der oft bestehenden Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung nicht in gleichem Maße mit einer umgehenden Geltendmachung von Unterhalt rechnen. Bei einem Abwarten über 18 Monate kann der Pflichtige sich aber, wenn der Träger öffentlicher Leistungen die Absicht der Einforderung nicht anderweitig deutlich macht, darauf einstellen, dass er insoweit nicht mehr in Anspruch genommen werden wird.
Dann musste der Kläger aber im Februar 2005 nicht mehr mit einer Inanspruchnahme wegen Unterhaltsforderungen für die Zeit bis Ende Juli 2003 rechnen.
Ende der Entscheidung
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